Auszug aus der Rede von Claudia Scheller-Schach (M.A.), Künzelsau,

zur Eröffnung der Ausstellung KEIMZEIT mit Babara Schmitz-Becker, 15.9.2019

 

Naumann-Cleves Arbeiten gründen auf ihrer Wertschätzung der Natur: sie ist fasziniert von der Schönheit und Vielfalt von Flora und Fauna und umso sensibler reagiert sie auf deren Störungen. 

In unterschiedlichen Medien und Aktionen setzt sie das ästhetisch um, bzw. setzt dem Desaster was unsere Umwelt betrifft auch ganz praktisch und sinnlich erfahrbar etwas entgegen:  z.B. mit ihrer Installation „Muttererde“.  

In einer alten Zinkwanne präsentiert sie fruchtbare Erde  - der Ur-Grund für Wachstum und Leben, für Nahrung und im wahrsten Sinne des Wortes „geerdet-Sein“. Diese Erde hat die Künstlerin hergestellt, indem sie Küchenabfälle über Monate hinweg gesammelt  und unter Ausschluss von Sauerstoff fermentieren ließ. Dieses sog.  japanische Bokashi-Verfahren liefert so eine Art Kompost.  Es liefert aber auch ein schillerndes Farbspiel: die Künstlerin komplettiert ihre Installation mit Regalböden voller Einmachgläser – aber eben nicht mit Weck-Obst oder Sauerkraut, sondern mit „Speisekammer-Erde“. 

 

In jedem Jahr aufs Neue stolpert die Künstlerin über das Thema „Fallobst“. 

Bei uns ist makelloses Obst im Überfluss vorhanden, so dass sich kaum einer bücken mag für die knorzeligen Birnen und Hutzel-Äpfelchen, die tonnenweise auf den Wiesen verrotten. 

Vor Jahren waren sie Gegenstand einer Fotoserie (2010 im HFM), hier für unsere Ausstellung machte die Künstlerin sie haltbar per Gipsabguß und arrangiert sie als Wandarbeit:  gleichermaßen lapidares wie metaphorisch aufgeladenes Mahnmal. 

 

Im großen Raum (Jagsttalblick) finden wir an drei Wänden auch eine Art Aufschrei - aber ganz leise, ganz subtil: in schillernden Farben sind Insekten abgebildet. Dank der Vergrößerung  können wir  uns an den vielen feinen Strukturen erfreuen, an der Bandbreite von Flügelformen und Körperstrukturen. Wie in einem Bestimmungsbuch oder auch Käferkasten sind die verschiedenen Arten fein säuberlich ausgebreitet und aufgespießt…man kennt das aus den Biologischen Sammlungen und Naturkundemuseen.  Jedoch tun sich in der strengen Reihung viele Lücken auf! 

Die Künstlerin illustriert hier mit ihren „Wertgeschöpften“ das Insektensterben, das für unser Öko-System gravierende Folgen haben wird. Der Clou dieser Wandarbeit ist das Material, das die Künstlerin verwendet: sie fertigte die Insekten aus geschredderten Geldscheinen! Glatte, bunt schillernde Banknoten, die in unserem Wertesystem für Wohlstand und funktionierende Wirtschaft stehen, wurden hier verarbeitet.  Geld stand und steht noch immer in hohem Ansehen, wird wertgeschätzt. Aber gerade das hat in einer ökonomisch ausgerichteten Landwirtschaft, etwa durch Monokultur zum Schwund der Arten und der schieren Anzahl von Insekten geführt.  Die Künstlerin führt diese Zusammenhänge genial in ihrer Wortschöpfung zusammen:  „Wert-Geschöpfte“ – was da alles mitschwingt – diskutieren Sie das nachher miteinander! 

 

Ähnlich wie bei ihrer Ausstellungspartnerin ist das künstlerische Konzept auch bei Sabine Naumann-Cleve getragen von einer ganz intensiven intellektuellen Auseinandersetzung. 

Für die kreative Umsetzung genügen aber die Recherche von Fakten und das Wissen um Zusammenhänge nicht. Um die komplexen Inhalte und die emotionale Dimension sichtbar zu machen, gilt es jeweils die entsprechende Form, das  entsprechende  Material zu finden und eine technische Umsetzung dafür zu entwickeln – was das anbetrifft, liebe AusstellungsbesucherInnen, werden wir hier hochwertig bedient! 

 

 

Eine weitere Arbeit von Sabine möchte ich noch in den Fokus rücken und damit den Aspekt des Emotionalen aufgreifen. Das Werk heißt „Memento“ – Erinnerung; es ist eine aufwändige Papierarbeit, Gesamtform wie auch die Binnenstruktur, wie auch die Art, wie sie präsentiert wird, lässt vielfache Assoziationen zu: kleine Waben bilden eine Gitterstruktur, aber gerade nicht so regelmäßig wie Bienenwaben. Sie ist ist auch nicht starr, sondern beweglich, sehr fragil und durchlässig – so erinnert es an ein Netz in Form eines Bootes. Tatsächlich kann dieses Netz-Boot etwas einfangen, etwas bergen und transportieren: die Künstlerin hat aus privaten Alben ihrer Familie Fotografien verwendet: gerissen und gefaltet und geklebt werden die Erinnerungen im wahrsten Sinne des Wortes verarbeitet: sie werden zugleich bewahrt und bekommen doch eine neue Funktion! 

 

Stichwort „Funktion“: in die Ausstellung hat Sabine Naumann-Cleve auch eine über die optische Erfahrung hinausgehende Arbeit integriert – eine Schüssel mit Wasser steht hinten auf einem Podest – sogar mit der Aufforderung, die Hände hinein zu tauchen - was soll das? 

Die Erde und ihre Gewächse (Zwiebelstangen und Basilikumwurzeln) sind  in der Ausstellung präsent, Luft ist das Element der Insekten und die bewegte Luft verleiht den zarten Gewächsen  in dieser inszenierten Natur einen ganz besonderen Reiz – da sollte wohl das Wasser nicht fehlen, zumal Sie, liebe BesucherInnen,  darin auch kleinste Plastikteilchen entdecken können und damit die kritische Verschmutzung der Meere visualisiert wird. Mit Schrecken hat die Künstlerin nämlich festgestellt, dass sie selber auch in der Herstellung von Kunst Abfall produziert.  „Plastik klebt an meinen Händen“ – so lautet der Titel - ist damit eine doppelte Reflexion. Wir können sie verstehen als Mahnung was die Müllproblematik betrifft, aber darüber hinaus auch eine Mahnung, was den Kunst- und Kulturbetrieb anbetrifft und an ihr eigenes Handeln. 

 

Daran kann ich nahtlos anschließen, um zum Schluss zu kommen: 

Zu Recht fragte der Autor Hanno Rauterberg kürzlich in der „Zeit“ (1.08.2019) „Kann eine Kunst, die das Gute und Richtige propagiert, mehr sein als ästhetischer Ablasshandel?“ – als Beispiel führt er einen Künstler an  - Olafur Eliasson - der Superstar der Klimakunst, der Tonnen von Grönlandeis nach London verschiffen ließ, das dort vor der Tate Gallery vor sich hin taute, um auf die Erderwärmung hinzuweisen. Der Autor bezichtigte ihn und das ständig per Flugzeug reisende Publikum der Doppelmoral und sprach von einer „Kunst der Scheinheiligkeit“. Als Alternative schlug er dann auch statt immer neuer klimaschädlicher Großprojekte einen „neuen Regionalismus für die Kultur“ vor….käme er doch nach Langenburg! Hier träfe er auf das Werk zweier Künstlerinnen, die es schaffen, „künstlerische Forschung“ zu betreiben und angemessene Darstellungsformen zu entwickeln. Damit leisten sie einen Beitrag zur Annäherung der Disziplinen: Naturwissenschaft und Kunst können im Austausch voneinander profitieren. Über den interdisziplinären Ansatz vervielfältigen sich die Erkenntnisgewinne. Beispiele dafür gibt es in der Geschichte immer wieder: denken Sie an Leonardo da Vinci, an Alexander von Humboldt, an Maria Sibylla Merian. 

Wir befinden uns in einer KEIMZEIT dafür -  Danke, Sabine und Barbara, dass ihr eure Saat gelegt habt.